Augenschmaus und Ohrengraus – ein moderner Ballettabend in drei Teilen – Hypnotic Poison (Coburger Landestheater)

Kraftvoll für die Augen, etwas zu kraftvoll für die Ohren – so kann man die erste halbe Stunde des dreiteiligen Ballett-Abends Hypnotic Poison, der aus unterschiedlichen Blickwinkeln das Thema »Leidenschaft« beleuchtet, umschreiben. Die Kreation des Stuttgarter Choreografen Demis Volpi, gleichzeitig titelgebend für das gesamte Ballett, hat großes Potenzial, mit emotional aufgeladenen Stories und kraftvollem Körpereinsatz des Tanzensembles das Publikum in seinen Bann zu ziehen, wären da nicht die Geräusche, die aus dem Lautsprecher ertönen.

Da ist zunächst ein schrilles Lachen, am Anfang lediglich irritierend oder gar amüsant, irgendwann nur noch störend, bis man sich zuletzt nur noch die Ohren zuhalten möchte. Was dazu getanzt wird ist sinnlich und aufreibend zugleich, geht aber völlig unter in der Geräuschkulisse. Dann ist da ein Mädchen auf der Bühne, das von einem Verführer in die Falle gelockt wird. Man möchte mitfühlen, fast spürt man die Angst – wäre da nicht die Hintergrundmusik, die einen davon abhält. Auch als der Fischer von der Nixe ins Wasser gelockt wird, kann der Funke einfach nicht überspringen. Zu viel Geräusch ist da, das sich unangenehm ins Innere des Gehörs frisst.

Eine regelrechte Wohltat ist dagegen die zweite Choreografie des Coburger Ballettdirektors Mark McClain. Sechs Frauen in unterschiedlichen, schwarzen Abendkleidern erzählen, jede für sich, ihre Geschichten von der Liebe. Da kommen die unterschiedlichsten emotionalen Bandbreiten zusammen, von der wehmütigen, unerwiderten Liebe über die Reize einer Hass-Liebe bis zum Schmerz des gebrochenen Herzen. Die Tänzerinnen bewegen sich mal leicht, mal mit intensivem Körpereinsatz zu jazzigen Sounds von Billie Holiday bis Aretha Franklin. Zwar ist hier nicht viel Neues zu sehen, das Bewegungsrepertoire bleibt im Großen und Ganzen klassisch. Doch was die Frauen ausdrücken, kauft man ihnen einfach ab. Hier springt der Funke über, man fühlt mit, wird von den Emotionen eingenommen und von den Stories mitgerissen. So sanft wie sie begonnen hat, klingt diese zweite und vielleicht schönste halbe Stunde des Ballettabends aus.

Im dritten Teil des Balletts, kreiert von der koreanischen Choreografin Young Soon Hue, geht es wiederum sehr modern zu. Man findet sich zunächst an einem Flughafen wieder, spürt die Hektik, die an solchen Orten herrscht. Gepäck und Stühle werden herum gezogen, Menschen eilen hin und her. Ein paar verabschieden sich, manche schlafen im Sitzen ein und andere können sich nach Langem wieder in die Arme schließen. Die unterschiedlichsten Persönlichkeiten sind vertreten, doch haben sie alle eines gemein: was man hier sieht, ist alles nur eine Maske. Das wird im zweiten Teil dieser letzten halben Stunde deutlich, wo die äußeren Hüllen fallen, die Atmosphäre sich gleichzeitig beruhigt und verdichtet, die Tänzer sich einander nähern. Begleitet von stimmungsvollem Licht und entsprechender – diesmal angenehm passender – Hintergrundmusik geht es nun nur noch um den Mensch an sich in seiner reinsten Form. Fast nackt nähern sich Körper, schmiegen sich aneinander, tanzen anmutig zusammen. Dennoch bleibt das Ganze sehr kraftvoll und modern.

Young Soon Hue hat es hier zustande gebracht, etwas Neues zu erschaffen und dennoch dem Publikum gegenüber gefällig zu bleiben. Was genau im zweiten Teil der Geschichte erzählt wird, ist jedoch nicht ganz einfach zu verstehen – manches bleibt ein Rätsel, vieles erfordert einiges an Interpretation. Ein angenehmer Eindruck bleibt aber und eine tiefgründige Choreografie geht hiermit zu Ende.

Ein allgemeines Fazit kann an dieser Stelle kaum abgegeben werden, viel zu unterschiedlich waren die drei Teile des Ballettabends. Einer der letzten beiden Choreografien den Vorzug zu geben, wäre ein rein subjektives Urteil. Young Soon Hue hat auf jeden Fall einen Meilenstein für das moderne Ballett gesetzt, Mark McClain dagegen hat sozusagen aus Altem etwas Neues erschaffen und so für erfrischende Abwechslung gesorgt. Mit Sicherheit ist einzig zu sagen, dass Demis Volpi es mit Geräuschen und Musik wirklich etwas übertrieben hat. Leider, denn, wie schon gesagt: Was sich auf der Bühne abspielt, ist wirklich kraft- und eindrucksvoll, schwer zu missverstehen und trifft das Thema »Leidenschaft« aus verschiedensten Blickwinkeln vielleicht sogar am besten auf den Punkt… wäre man nur nicht so sehr damit beschäftigt, die Geräuschkulisse zu ertragen.


Hypnotic Poison
Demis Volpi
Coburger Landestheater

Augenschmaus und Ohrengraus – ein moderner Ballettabend in drei Teilen – Hypnotic Poison (Coburger Landestheater)

Laute machen Leute – My Fair Lady (Coburger Landestheater)

„Es grünt so grün…“ – Dieses Zitat hat vermutlich jeder schon einmal gehört, selbst wenn er My Fair Lady noch nie gesehen hat. Kein Wunder, denn schon 1956 wurde es in New York uraufgeführt. Seitdem hat es in zahlreichen Inszenierungen und Bearbeitungen die Welt erobert. Dass das Musical seine Wirkung in all den Jahren nicht verloren hat, konnte das Ensemble des Coburger Landestheaters am gestrigen Abend bei seinem Gastspiel im E.T.A Hoffmann-Theater beweisen.

Mit ihrer derben Art und dem ausgeprägten Dialekt lässt Eliza Doolittle das Publikum immer noch kräftig schmunzeln und schafft es gleichzeitig, dass jeder sie ins Herz schließt. Klar, dass man sich eindeutig auf ihre Seite schlägt, wenn sie von Professor Higgins getriezt und gedrillt wird, nur damit der seine Wette gewinnt. Diese Wette, von Higgins‘ Freund Oberst Pickering vorgeschlagen, beinhaltet den Versuch des Professors, Eliza innerhalb von sechs Monaten zu einer Dame zu machen. Gelingt ihm dies, zahlt Pickering Elizas Ausbildungskosten für den Sprachunterricht bei Higgins. Denn der Mensch definiere sich schließlich über seine Sprache, nicht über seine Herkunft, so die feste Überzeugung des Professors.

„Vom Regen in die Traufe“, so schießt es einem durch den Kopf, wenn man Elizas Schicksal betrachtet. Von der Straße aufgesammelt, auf der sie bis dahin als armes Blumenmädchen ihren Lebensunterhalt bestritten hat, wird sie von Professor Higgins aufgenommen. Der sieht sie aber nur als „Versuchskaninchen“ für seine Phonetik-Studien und behandelt sie ziemlich grob. So muss die arme Eliza mit Kieselsteinen im Mund Zitate aus Büchern rezitieren, 50 mal am Tag das Alphabet aufsagen und gefühlte 100 mal im Stück das berühmte Zitat über die spanischen Blüten wiederholen. Die Lehreinheiten arten in endlosen, zermürbenden Sprachunterricht aus – bis es endlich klick macht und Eliza, nun fast gänzlich vom Dialekt befreit, schließlich doch in die gehobene Gesellschaft eingeführt werden kann. Bleibt nur zu hoffen, dass sich das temperamentvolle Mädel auch lang genug am Riemen reißt…

Mit herzallerliebster, derber Berliner Mundart konnte Anna Gütter als Eliza auf ganzer Linie überzeugen. Holger Hauer brillierte daneben als chauvinistischer Professor Higgins und machte mit einigen Kraftausdrücken seinerseits (ich dachte, so spricht man nicht, Herr Professor?!) das Publikum so manches Mal sprachlos. Ein gutmütiger Oberst Pickering (Niklaus Scheibli) komplettierte das Gespann und der stets gut angetrunkene Alfred P. Doolittle (Michael Lion) sorgte für ein paar deftige Einlagen. Begleitet vom extra mitgebrachten Orchester und mit einem interessant umgesetzten Bühnenbild versehen, konnte die Coburger Inszenierung vonMy Fair Lady nur glücken. Am Ende dieses gelungenen Abends mit all seinen Höhen und Tiefen entdeckt man schließlich gemeinsam mit Eliza, dass auch die härtesten Kerle irgendwann einmal ihre raue Schale ablegen können.

Und zu guter Letzt: Ein Hoch auf Mrs Pearces Hausschuhe, die wohl die schrillsten Lacher aus dem Publikum ernteten.


Alan J. Lerner und Frederick Loewes My Fair Lady
Holger Hauer
Coburger Landestheater
Vorstellungen: 4.+5. März 2015

Laute machen Leute – My Fair Lady (Coburger Landestheater)